Eine kurze Geschichte
der Marke. Rückblick und
Ausblick für eine Konstruktion,
die es Menschen ermöglicht
sich zu verbinden
Ein einzelner Mensch ist fähig mit bis 150 Personen eine enge persönliche Verbindung zu halten. Größere Projekte mit mehr Beteiligten brauchen eine andere Art der Organisation und Kommunikation. Zu diesem Zweck kann der Mensch eine Bedeutung erschaffen. Wenn sich alle auf diese Bedeutung einigen ist eine Marke entstanden, die diese Grenze überschreitet und größere gemeinsame Projekte ermöglicht.
Fast alle Menschen haben heute mit Marken zu tun. Jeder hat auch dazu eine Meinung, aber selbst in Fachkreisen gibt es sehr wenig Ahnung zu den Wurzeln von Brand und Marke. Im englischen wird das Markenmachen Branding genannt. Im deutschen sind Marke und Marketing zwar lautmalerisch nahe, aber sie haben eine ganz andere Bedeutung. Marketing kommt vom englischen market und beschäftigt sich mit dem Verkauf von Produkten und Services. Die Werbeindustrie erzählt oft von Marken im Gegensatz zu Nichtmarken. Wofür viel Werbung gemacht wurde und was daher jeder kennt ist eine Marke. Was keiner kennt ist keine Marke. Diese Unterscheidung ist nicht haltbar, denn manche Marken sind nur für einen kleinen Kreis von Stakeholdern geschaffen und eine Brand, die in einem Land besonders bekannt ist, ist im Nachbarland oft völlig unbekannt. Eine weitere Fehlinterpretation: Eine Marke wäre ein Logo. Die Wort- oder Bildmarke, das Logo, ist keine Marke. Es ist zwar ein Zeichen, das oft auf eine Marke verweist, aber es ist nicht selbst die Marke. Über das Markenrecht kommt noch weitere Verwirrung ins Spiel, aber dazu später. Oft wird auch erzählt, dass die Wiege der Marke in der etymologischen Bedeutung des Wortes Branding liegt. Das Wort hat seinen Ursprung als Brandzeichen in der Kennzeichnung von Tieren mit einem wiedererkennbaren Symbol. Das Brandzeichen, das schon im alten Ägypten verwendet wurde, soll die Herkunft und den Besitz einer Herde erklären. Eine Brand ist aber nicht ursprünglich eine Herkunftsbezeichnung. Das deutsche Wort Marke, das sich aus dem französischen marque ableitet, ist ein allgemeiner Begriff für eine Kennzeichnung. Ein Soldat kann eine Blechmarke als Erkennungszeichen tragen, mit einer Briefmarke kann Post versendet werden und mit einer Lebensmittelmarke kann Essen gekauft werden. Früher wurde das Wort Vertrauensmarke verwendet, um das zu bezeichnen, was wir heute unter Marke oder Brand verstehen: Die Summe aller Erlebnisse eines Menschen mit einem Unternehmen, Service oder Produkt. Eine gute Marke schafft in dieser Beziehung Vertrauen.
Vor über 200.000 Jahren sind Homo Sapiens in Ost-Afrika entstanden. Und vor circa 70.000 Jahren drang die Menschheit dank dieser kognitiven Revolution an die Spitze der Nahrungskette vor und hat Schritt für Schritt fast den ganzen Planeten bevölkert. In dieser erstaunlichen Entwicklung haben Lernfähigkeit, Gedächtnis und Kommunikationsfähigkeit stark zugelegt. Das hat dem Menschen neue Möglichkeiten der Organisation und Zusammenarbeit gegeben. Bis heute entstehen immer komplexere und größere Gruppen von Menschen und ganz erstaunliche Projekte. Für diese komplexen Kooperationen braucht es Vetrauen. Schimpansen haben im Vergleich viel engere Grenzen der Zusammenarbeit. Wenn eine Affengruppe funktionieren soll, dann müssen sich alle Angehörigen gut kennen. Zwei Schimpansen, die sich nicht gemeinsam lausen und gemeinsam leben, können nicht erkennen, ob sie sich vertrauen können oder in welcher Beziehung sie zueinander stehen. Ob es sich lohnt einander zu helfen oder ob Gefahr vom anderen droht. Ein Schimpansenrudel besteht aus zwanzig bis fünfzig Tieren und größere Gruppen werden zunehmend instabil und spalten sich auf. Der Mensch hat es hingegen geschafft eine Bedeutung oder Fiktion zu erfinden, auf die sich viele Menschen beziehen können. Wir erfinden einen Mythos, eine Geschichte oder eben eine Marke. Dabei muss man folgendes beachten: Eine erfundene Wirklichkeit ist keine Lüge. Jemand lügt, wenn er behauptet, dass er einen roten Elefanten gesehen hat, obwohl er keinen gesehen hat. Auch Affen lügen und führen sich gegenseitig hinters Licht zu ihrem eigenen Vorteil. Anders als eine Lüge ist eine erfundene Wirklichkeit etwas, das Glaubwürdigkeit ausstrahlt und geglaubt wird. Und solange es diesen Glauben gibt, hat die erfundene Wirklichkeit ganz reale Macht in der Welt. Unser Rechtssystem ist ein erfundener Mythos, die Menschenrechte der Vereinten Nationen, ja jede Nation ist eine Konstruktion und jede Währung natürlich auch. Menschen verwenden Mythen schon seit 70.000 Jahren und sind bis heute eine Hilfe für unser Zusammenleben. Natürlich ist auch eine erfundene Wirklichkeit anfällig für jede Form der Lüge. Wir sollten daher sorgsam mit Bedeutung umgehen und uns bewußt sein, dass Glaubwürdigkeit errodiert, wenn sie in sich nicht stimmt und zur Manipulation gegen den Willen von Menschen eingesetzt wird. Die Mechanik von funktionierende Marken wird dabei oft kaum wahrgenommen, aber nicht funktionierende fallen schnell unangenehm auf. Es verhält sich wie der Satz von Erik Spiekermann über Schriftgestaltung: »Typographie ist wie Luft: Erst wenn sie schlecht ist, merkt es jeder.«
Marken wurden zu immer wichtigeren Teilen der Wirtschaft und daher wuchs auch der Wunsch einer rechtlichen Absicherung. Über Gesetze soll klar geregelt werden, dass Marken nicht von jedem genutzt oder kopiert werden können, sondern einzig von den Inhabern der Markenrechte. Der juristische Begriff der Marke existiert seit dem 13. Jahrhundert. 1266 wurde das erste Gesetz zum Markenschutz unter König Henry III. verabschiedet. Eine Kennzeichnung von Brot, um gleiche Standards zu etablieren und dem Käufer ein gleichbleibendes Produkt zu garantieren. Und um alle Steuern zu erfassen. Im Jahr 1876 wurde die erste Bildmarke in Großbritannien registriert: Ein rotes Dreieck als Logo für ein Pale Ale der Brauerei Bass, das noch heute verwendet wird. Im Markenrecht können bis heute nur die auf eine Marke verweisenden Symbole geschützt werden. Eine Wort- oder Bildmarke, ein Name, ein Muster, ein Ton oder eine Kombination davon. Diese Symbolen müssen ein starkes Alleinstellungsmerkmal aufweisen, wenn sie neu registriert werden wollen. Eine starke Eigenständigkeit ist also nicht nur in seiner Gesamtheit wichtig, sondern auch in seinen Einzelteilen. Der Schutz kann durch Verwendung, Bekanntheit oder Berühmtheit von selbst entstehen oder auch angemeldet und registriert werden. Dabei gilt der Schutz für eine registrierte Marke nur in den für sie eingetragenen Bereichen und Ländern. Im EU-Recht ist zum Beispiel eine sogenannte Unionsmarke schützbar, die in einer oder mehreren Waren- und Dienstleistungsklassen eingetragen wurde. Dabei muss der aus 45 Klassen gewählte Bereich auch tatsächlich genutzt werden. Denn es soll niemand prophylaktisch alle Bereiche schützen und damit für andere sperren, der in diesem Bereich gar nicht tätig ist. Derzeit sind über 70.000 Marken nach Nizzaer Klassifikation eingetragen.
Mit dem Beginn der industriellen Revolution, der damit veränderten Produktion und Kommunikation ist eine davor unbekannte Multiplikation von Botschaften erreicht worden. Noch war wenig Skepsis für Marken vorhanden und das menschliche Bedürfnis nach Verbindung wurde oft genützt. In einigen Fällen sogar stark ausgenützt. Der Mensch glaubt die Meinung von anderen, wenn es Gründe für Glaubwürdigkeit gibt. Er möchte Teil einer Gruppe sein. Im 20. Jahrhundert waren zum ersten Mal Marken zu erkennen, die fast alle Menschen auf diesem Planeten erreichten. Coca Cola wurde im 20. Jahrhundert zur bekanntesten Marke der ganzen Welt und wir können kaum einen Menschen treffen, der dieses Getränk nicht schon konsumiert hat. Betty Crocker ist eine fiktive Figur, die von Genral Mill, einem großen Nahrungsmittelproduzenten aus den USA, erfunden wurde, um Mehl zu verkaufen. Nicht allen Menschen war damals bewusst, dass es sich bei Betty Crocker um eine Kunstfigur handelte. Das Unternehmen hat sich damit gebrüstet, dass über die Jahre mehrere Heiratsanträge eingegangen sind. Man wollte die künstlich geschaffene Figur Betty Crocker tatsächlich heiraten. Sie erlangte so große Bekanntheit, dass das Magazine Fortune 1945 Betty Crocker zur populärsten Frau nach Eleanor Roosevelt wählte. Das ist heute so nicht mehr vorstellbar. Werbung hatte bis zum so genannten goldenen Zeitalter der Werbung, so wird die Zeit in den USA der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts genannt, Coca Cola, Levis oder Marlboro zu davor nie dagewesener Popularität verholfen. Ganz selbstverständlich haben Ärzte Werbung für Zigarettenmarken gemacht und Jeans wurden vom der Arbeiterhose zum Lifestyleprodukt. Diese Zeit hat mit der industriellen Revolution begonnen und war mit dem Aufkommen des Internets zu Ende.
Bis zur Internetrevolution, die bis heute andauert und eine neue Ära der Zusammenarbeit, der Kommunikation und der Verbindung zwischen Menschen erschaffen hat, war die Massenkommunikation eine Einbahnstraße, aber das ändert sich zunehmens. Schon mitte der der 1960er Jahre wurden die technischen Grundlagen gelegt, aber erst 1990 begann der weltweite Siegeszug des Internets. Im Jahr 1993 machte das Internet lediglich 1 % der Informationsflüsse der weltweiten Netze aus, im Jahr 2000 bereits die Mehrheit des Informationsaustausches mit 51 % und im Jahr 2007 bereits 97 %. Diese Informationen werden anders als in den Massenmedien nicht nur in einer Richtung verteilt, sondern es entstehen Gespräche zwischen den verschiedenen Personen. Das Internet hat die Kommunikation in großen Teilen verändert und bietet die Chance zu einer neuen Art der Verbindung. Dabei steigt die Verantwortung für das gelingen dieser Verbindungen und es steigt die Verantwortung zur glaubwürdigen Kommunikation. Für jeden einzelnen Teilnehmer, wie auch für jede Marke. Während man zur Zeit der Pharaonen noch daran glaubte, das alles was geschrieben wurde nicht nur wahr war, sondern zur Realität wurde, ist heute der Glaube in vielen Bereichen erodiert. Einerseits ist es gut, dass nicht mehr blind alles geglaubt wird, doch ist für unser Zusammenleben ein gemeinsamer Glaube wichtig und Unternehmen sollten sich um die Bedeutungshoheit ihrer Marke bemühen und danach streben, eine möglichst hohe Glaubwürdigkeit zu erlangen.
In physiologischer Hinsicht hat sich der Mensch seit dieser Zeit nicht mehr verändert. Viele Limitierungen galten damals wie heute. So ist es einem einzelnen Menschen möglich, mit bis zu ca. 150 anderen Menschen eine Beziehung zu pflegen. Daher kann ein kleines Familienunternehmen ohne Marke und ohne strategisch geplante Kommunikation und ohne viel Struktur erfolgreich sein und ein Vermögen verdienen. Sobald das Unternehmen expandiert, gerät es ab einer kritischen Anzahl an Stakeholdern in eine veritable Krise. Die Lösung für dieses Problem ist die Schaffung einer Struktur, die von einer Person abgelöst kommuniziert und eine Gemeinschaft entwickelt, die mehr als 150 Personen erreicht. Diese Struktur ist eine Marke. Der Mensch kann sich, als einziges Lebewesen auf diesem Planeten, auf einen erfundenen Mythos einigen, der so stark werden kann, dass er als faktisch wahr anerkannt wird. Am besten funktioniert diese Erschaffung, wenn die Marke der Struktur eines Menschen möglichst ähnlich sein: Mit einem einerseits stabilen Charakter, aber auch laufend adaptiertem, situationsabhängigem Verhalten. Diesen Anthropomorphismus, also das Zusprechen menschlicher Eigenschaften braucht der Mensch, um eine Verbindung eingehen zu können und Vertrauen in die neu erschaffene Struktur zu erlangen. Es wird im Kern nach einer wahren und glaubwürdigen Geschichte gesucht und Werte und Charaktereigenschaften festgelegt. Die Verbindung zu der Marke soll möglichst ähnlich der zwischenmenschlichen Verbindungen sein. Kommunikation ist heute keine Einbahnstraße wie in den Zeiten der Massenkommunikation – sondern wieder eine gemeinsame Erschaffung von Bedeutung. Wer diese Bedeutung mutig und glaubwürdig freilegt, gewinnt in hohem Maß an Vertrauenswürdigkeit. Hervorragende Marken machen genau das: Eine charakterstarke und glaubwürdige Marke, die sich abhebt. Richtig eingesetzt hat das positiven Einfluss auf alle Bereiche einer Marke und schafft damit langfristiges Vertrauen.